CariLat-Karibik-Lateinamerika-Magazin

Wieder zurück am Ende der Welt

von Sabine Weise 

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Gejubel und Geschrei, als wir wieder zurück sind. So viele Küsse und Umarmungen auf einmal! Das Haus ist auf Hochglanz geputzt, Graciela und Tamara haben am Meer Muscheln für uns gesucht und Zoila hat zur Begrüßung süße Maisfladen gebraten. Inzwischen läuft schon wieder Musik, wenn auch noch nicht ganz so laut. "Aber am Samstag, bevor Ihr wegfahrt, feiern wir noch zusammen!" meint der mittlere Oswaldo, der Sohn des alten Oswaldo und Vater von Oswaldito. "Eine fiesta mit caldero (kubanische Spezialität), Rum und Tanz bis tief in die Nacht!" "Und ich tanze die ganze Nacht durch, auch wenn Ihr alle Schlafen geht!" schreit der fünf Jahre alte Raulito. "Ist ja schon gut, Raulito". Großmutter Zoila übernimmt wieder das Regiment. "Am Samstag Morgen könnt ihr mit Raissa oder mit Maria zum Markt in Santa Cruz fahren, wenn ihr Lust habt. Ihr haltet Euch dann etwas im Hintergrund und macht den Mund nicht auf, denn Touristen zahlen in Dollar. Aber wenn wir einkaufen gehen, bekommen wir alles in Pesos und dann kostet es viel weniger." Ein Dollar ist im Gegenwert 20 Pesos. Genau wie beim Transport gibt es auch beim Geld zwei voneinander getrennte Kategorien bzw. Welten. Die Touristen bewegen sich - ob sie wollen oder nicht - in der Dollarwelt. Die Kubaner dagegen leben in der Pesowelt bzw. in einer Übergangswelt, in der der Peso langsam aber sicher vom Dollar verdrängt wird. Der Überlebenskampf in dieser Übergangswelt ist hart. Es gibt zwar durch zunehmenden Tourismus inzwischen einige Möglichkeiten, an ein paar Dollar heranzukommen, doch werden diese von staatlicher Seite streng kontrolliert und außerdem besteuert. Bargeld bzw. Geld überhaupt ist überall rar. Sehr rar. Hier in El Fraile gehen viele Männer tagsüber zum Fischen und verkaufen oder tauschen abends ihren Fang bei Nachbarn. Z.B. einen Fisch gegen einen Haarschnitt. Oder Fisch gegen Benzin, Fisch gegen ein paar alte, aber noch einigermaßen gut erhaltene Schuhe, was eben jeder gerade hat bzw. brauchen kann. "Da kommt der Maisverkäufer", ruft Zoila. "Lasst uns Maiskolben kaufen, dann kann ich Euch schöne tamales machen am Samstag". Ein Pferdegespann mit einer Wagenladung voller Maiskolben fährt vors Haus. Für einen Dollar gibt es die unglaubliche Menge von achtzig Kolben, einen ganzen Sack voll.

Manchmal gehen wir auf die andere Seite der Carretera in die sogenannte ServiBar, ein Open Air-Restaurant, in dem viele Autofahrer und Touristen-Busse Station machen. Hierher, ans Ende der Welt, kommen inzwischen Menschen aus allen möglichen Ländern, für eine kleine Pause auf der Fahrt von Havanna nach Varadero bzw. von Varadero nach Havanna. Die ServiBar hat 24 Stunden geöffnet, und es gibt (meist) Pizza, Käse-Schinken-Sandwich, gegrilltes Hähnchen mit papas fritas (Pommes frites) oder tostones (gebratene Kochbananen). Hier werden die klassischen Porträts von Ché Guevara und Fidel Castro genauso verkauft wie farbenprächtige Kitschpostkarten von karibischen Traumstränden oder Fotos von tanzenden Schönheiten im TROPICANA. Ein immer gut gelaunter Mann aus Santiago de Cuba, ein nague (so werden die Leute vom Osten der Insel genannt), verkauft Kokosmilch und guarapo, Zuckerrohrsaft. "Der guarapo ist d a s Aphrodisiakum überhaupt. Ein Gläschen mit einem Spritzer limón und - vamonos", lacht der nague aus voller Kehle. "Und nach Sonnenuntergang mit einem Schuss Rum, ich sage Euch, es gibt kein besseres Mittel für die Liebe"! Am Tag spielt eine Gruppe älterer Musikanten kubanischen son, und am Abend übernimmt ein kleiner, runder Mann die Geräuschkulisse. Er legt Musik auf, verkauft Raubkopien an Touristen und flirtet mit seiner Freundin, die gerade Semesterferien hat. Félix ist ein Sprachgenie und hat allein durch seine täglichen Verkaufsgespräche mit Touristen recht gut Englisch gelernt, ein bisschen Italienisch und Französisch auch. Über kubanische Musik weiß er so gut wie alles, er legt mit Vorliebe die alten Stimmen auf, las voces del siglo: Celina González und Merceditas Valdes, Compay Segundo und Compay Primo. Seine Freundin Fara möchte lieber moderne Musik hören. "Spiel' ihnen mal die Orishas vor", ruft sie ihm zu. Und zu uns: "Das ist eine neue kubanische Gruppe, junge Leute, die rappen und über das Kuba von heute, über unsere Probleme sprechen". Und die Orishas lassen die Trommeln erklingen, in einem großartigen afrokubanischen Intro werden die Götter angerufen in der alten Sprache der Yoruba (Nigeria, Westafrika), die in Kuba genauso wie die Mythen aus der Götterwelt der Yoruba seit fast 500 Jahren von Generation zu Generation weitergegeben wird. Aché Eleguá, Aché Ogún, Aché Ochosí, Aché Obatalá... Ein Kellner beginnt, durch die ServiBar zu tanzen. Auch Félix kann sich nicht mehr halten, hebt seine Arme ekstatisch in die Luft und tanzt versunken im heiligen Rhythmus. Dann beginnt der Rap, unterlegt mit Rumba, Son und Salsa, und die verschiedenen musikalischen Stile fügen sich wie selbstverständlich ineinander, formen eine neue energiegeladene Musik, die inzwischen nicht nur in Kuba unglaublich populär geworden ist. Die Orishas singen und rappen über die Probleme des täglichen Überlebens, über ihr Viertel und ihre Leute, über die schwierigen Lebensbedingungen, aber auch vor allem darüber, dass sie verdammt stolz und glücklich sind, Kubaner zu sein. Während die Musik läuft, entwickelt sich an unserem Tisch eine rege Diskussion. Félix, der viel mit Touristen zu tun hat und viel aus dem Ausland hört, ist westlichen Gedanken gegenüber aufgeschlossener als seine Freundin. Fara, eine hochintelligente Medizinstudentin mit viel Engagement, hat ihre eigene Meinung. "Das was wir hier in Cuba erreicht haben, das siehst Du in keinem anderen Land Lateinamerikas! Hier gibt es keine Kinderarbeit, hier muss niemand verhungern. Okay, wir haben wenig, aber es reicht zum Leben. Wenn ich einmal Ärztin bin, werde ich so um die 500 Pesos verdienen. Schau, hätte ich mehr Geld, Dollars, dann würde ich mir vielleicht schicke Adidas-Schuhe kaufen wollen, wie sie jetzt so in sind. Und dann? Dann will ich dies und dann will ich das, aber um so was geht es doch eigentlich gar nicht im Leben. Für uns Kubaner geht es um unsere Selbstbestimmung, um unsere kulturelle und politische Identität. Schau, mein wirklich sehr hübsches Kleid habe ich für 20 Pesos bekommen. Zu Essen habe ich genug. Für mich ist mein Beruf wichtig, und dass ich etwas für mein Land tun kann!" "Ja, aber", will Félix einwerfen, doch sie überrollt ihn. "In keinem anderen Land Lateinamerikas hat ein jeder Mensch Recht auf freie medizinische Versorgung. Und die ist in unseren Ländern Gold wert! Und in jedem anderen Land siehst Du Analphabeten, hier nicht!" "Trotzdem ist es seit dem amerikanischen Embargo extrem hart für uns geworden", meint Félix. "Ja, aber daran ist nicht unser System schuld, sondern die Amerikaner. Und ich meine nicht das Volk der Amerikaner, sondern die CIA und die Mafia der Exilkubaner. Die wollen doch nur, dass Fidel bald stirbt, und dann sollen wir wieder ihre Sklaven spielen wie früher!" Fara ereifert sich immer mehr. "Ich möchte, dass Fidel möglichst lange lebt und dass wir behalten können, was so mühsam erkämpft worden ist. Und wenn es wieder Krieg gibt, dann kämpfe ich mit!"

In diesem Moment kommt vom Eingang her ein riesiger himmelblauer Krebs durch den Mittelgang im Lokal gestelzt, als sei er ein special guest aus einer anderen Galaxie. Er geht seitwärts, seine größere linke Beißzange abgewinkelt, wie zum Schutz vor sich hertragend. Untypischerweise hat dieser Krebs einen runden Kopf auf seinem Körper sitzen und er fixiert uns mit seinen hervorstehenden, schwarzen Augen ganz genau. Auf jede noch so kleine Bewegung im Raum reagiert er und läuft, als ein Kellner sich nähert, blitzschnell unter einen Tisch am Rande des Lokals. "Diese Krebse kommen oft am Abend, bevor es ein Gewitter gibt. Sie kommen vom Meer, wandern durch das ganze Dorf, über die Carretera, hier durchs Lokal und dann krabbeln sie da hinten auf einen Baum und übernachten dort. Essen kann man diesen Krebs übrigens auch, sein Fleisch soll gut fürs Gehirn sein", weiß Fara. Félix ist sichtlich erfreut über diesen unfreiwilligen Themenwechsel, aber Fara lässt nicht locker. "Natürlich will ich keinen Krieg mehr, und auch Fidel möchte, dass nie wieder Blut fließt. Ich glaube sowieso daran, dass wir Kubaner aus unserer Geschichte gelernt haben und stark genug sein werden, wenn ein Wechsel kommt. Dass wir uns nicht korrumpieren lassen!"

Wir sitzen am Strand und betrachten den westlichen Abendhimmel. Die Sonne senkt sich und wird zu einem orangerot glühenden Feuerball über dem Meer. Surrealistische Wolkenformationen färben sich in alle möglichen Tönungen zwischen gelb, orange und rosa, blutrot und lila, bis die Sonne majestätisch ins Meer eintaucht. Raissa und ihre Tochter Graciela gesellen sich zu uns. Wir sitzen unter einer uva del mar, der Strandtraube (wörtlich: Traube des Meeres), neben der Kokospalme ein häufig gesehener Baum an karibischen Stränden mit oft bizarrem Wuchs. Die festen, runden Blätter bilden eine Art schützendes Dach, das von der Kraft des ständigen Windes oben glattgeblasen ist und das in der Hitze des Tages als willkommener Schattenspender dient. Kinder lieben sie besonders, die uva del mar, denn sie schenkt ihnen ihre kleinen kernigen Trauben, die manchmal eher säuerlich als süß schmecken und eigentlich eher Kirschen als Trauben ähneln. Wir sitzen unter dem Baum und betrachten das atemberaubende Schauspiel des Sonnenuntergangs. Auf dem Meer, etwa 300 m vom Ufer entfernt, blinkt ein Licht auf. "Da fischt wieder jemand bei Nacht," sagt Raissa. "Ich weiß nicht, warum sie das immer wieder machen. Es ist so gefährlich! So viele Menschen hat das Meer schon verschluckt"! "Ich hätte bei der Dunkelheit da draußen in einem kleinen Fischerboot auch Angst", meine ich. "Diese Leute haben kein Fischerboot", antwortet Raissa. "Die gehen in einer balsa, einem Lastwagenreifen, ‚raus aufs Meer. Genauso wie all die Leute, die von hier in die USA fliehen. Die setzen sich auch in so einen Reifen. Sie binden oft ein Blech, Zink oder was sie eben finden können als Boden unten fest, und dann haben sie irgendwelche Hölzer zum Rudern. Und vielleicht ein paar Vorräte." "Aber das ist doch Wahnsinn!" "Ja, muchacha, aber genauso ist es. Wir leben hier direkt am Meer, und Du glaubst nicht, wie viele tote Körper immer wieder an Land gespült werden. Horrible! Ich weiß es wirklich! Anfang der 90er Jahre, in der Zeit des großen Exodus, ist auch mein Bruder zusammen mit zwei Freunden in einer balsa über den Ozean. Die ganze Familie hat ihn angefleht, er solle doch hierbleiben, aber er war wie besessen von der Idee, nach Miami zu gehen. Und eines Tages sind sie tatsächlich los, die drei. Du weißt nicht, wie viel Angst wir damals ausgestanden haben! Unsere Mutter machte eine promesa (Gelübde) und bat Yemayá, ihren Sohn nicht in ihren Wogen zu verschlingen. Sie aß tagelang nur noch Brot und trank Wasser, bis endlich der Anruf aus diesem Krankenhaus in Miami kam. Mein Bruder war nach 6 Tagen von einem amerikanischen Schiff gefunden worden, mehr tot als lebendig, fast verhungert und verdurstet, mit tiefen Verbrennungen am ganzen Körper. Seine beiden Freunde lebten nicht mehr. Am dritten Tag auf dem Meer war ein Sturm aufgekommen und eine große Welle hatte den Reifen zum Kentern gebracht. Wie durch ein Wunder konnte sich mein Bruder jedoch wieder hineinretten. Dann musste er mitansehen, wie Haie über die beiden Männer herfielen und sie zerfleischten. Direkt vor seinen Augen. Lange Zeit schwammen die Haie um ihn herum und er saß nur noch apathisch in diesem Reifen und weinte stundenlang, tagelang. Ja, mein Bruder ist einer der wenigen, die es geschafft haben, aber wie hoch war der Preis! Seitdem hat er ein Riesentrauma, er kann nie mehr ins Meer gehen, nicht einmal mehr zum Baden an den Strand. Denn immer, wenn er sich dem Meer nähert, hört er diese Stimmen, die ihn rufen und hineinziehen wollen!" "Ich will n i e weg von meinem Kuba, Kuba ist das schönste Land auf dieser Welt!" sagt die kleine Graciela bestimmt. "Ich auch nicht, niemals im Leben", fällt Raissa ein. "Auch wenn die Zeiten manchmal sehr hart sind und wenn wir heute oft nicht wissen, was es morgen zum Essen gibt. Darum sagt man hier: Wenn's drauf ankommt, dann essen wir eben Steine."

Der Samstag naht mit erschreckender Geschwindigkeit und wir verabreden uns mit Maria, am Morgen zum Markt in Santa Cruz zu gehen. Diesmal fahren wir "kubanisch", d.h. in einem öffentlichen Bus, wo im Gegensatz zu den komfortablen, airconditiongekühlten Touristenbussen die Luft zwischen den aneinander drängenden Körpern zu stehen scheint, dafür aber eine Riesenstimmung herrscht. Der Radio läuft auf vollster Lautstärke und einige Leute singen mit. Wir stellen uns taubstumm und Maria zahlt für uns drei 15 Pesos. Santa Cruz ist etwa eine Viertelstunde entfernt. Ein verschlafener kleiner Ort, in dem zu dieser frühen Morgenstunde noch wenige Menschen auf den Straßen zu sehen sind. Auch auf dem mercado ist nichts los. Lediglich die Verkäufer stehen hinter ihren mager bestückten Verkaufsständen und warten auf Kunden. Eine große Auswahl gibt es nicht. Salat ist nicht zu bekommen, auch Fürchte gibt es kaum. Viele Verkaufstische sind einfach leer. Wir stellen uns weiter taubstumm und Maria kauft ein. Für etwas mehr als vier Dollars hat sie bald einen riesigen Fleischberg, zwei Plastiktüten voller Yuka, Yams und Kochbananen, schwarze Bohnen, ein paar Kräuter und Avocados eingekauft. Immerhin soll das alles für einen caldero für über 20 Personen reichen. Schwer beladen gehen wir durchs Dorf wieder zurück zur Carretera. Die Rückfahrt gestaltet sich schwieriger. Es will einfach kein Bus vorbeikommen. Nach eineinhalb Stunden hält ein monströser Lastwagen mit ca. 1,50 m hohen Riesenreifen. Ein paar Männer, die schon auf der hohen Ladefläche stehen, ziehen uns hoch. In einem Affenzahn geht es die Carretera entlang, wir stehen da oben im Wind, halten uns fest und tauchen ein in die vorbeifliegenden Felder und Täler, das satte Grün der Tropen, genießen die Weite der Sicht von der Höhe dieser Ladefläche. Am späten Vormittag sind wir wieder zurück und nun beginnt das große Kochen. Zoila übernimmt den caldero, zuerst kocht sie das Fleisch, einige Stunden lang, bis sie dann Gewürze, Yuka und Yams hinzugibt. Maria schneidet, stampft und brät die Kochbananen zu tostones und kocht den Reis mit Bohnen, den moro. Tania, Tamara und Graciela haben stundenlang die Maiskörner aus unserem Großeinkauf von 80 Stück vom Kolben gelöst. Jetzt werden die Körner durch einen Fleischwolf gedreht. Die goldgelbe Maismasse wird nun mit Gewürzen und kleinen Stückchen chicharrones (gebratene Schweineschwarte) vermischt und in die zarten Innenblätter des Maiskolbens eingelegt, zu handgroßen Päckchen verknotet und gekocht. Raissa und Nieve kommen am Spätnachmittag und stellen alle Tische und Stühle, die irgendwo aufzutreiben sind, in den Innenhof. Oswaldo hängt eine Glühbirne an die hölzerne Stelze für die Wäscheleine. Wir räumen die überdachte Fläche frei, denn dort soll getanzt werden. Irgendwann ist es soweit, jeder kann sich hinsetzen und essen, egal ob von einem dieser robusten made-in-UdSSR-Porzellan-Teller oder von einem amerikanischen Plastikteller. Hauptsache Essen, soviel jeder kann. "Jetzt ist Tanzen das Beste," ruft Oswaldo der Jüngere. "Lasst uns heute tanzen, ohne an morgen zu denken. Wir haben unendlich viel Zeit. Hier in Kuba sagt man: Hay más tiempo que vida - Es gibt mehr Zeit als Leben." Bald sitzt niemand mehr auf einem Stuhl. Salsa, Rumba, Son, Merengue, Cha cha cha, Mambo bis spät in die Nacht. Jeder tanzt mit jedem, ob klein oder groß, jung oder alt.

Als das Flugzeug am nächsten Morgen vom Boden abhebt, sehen wir die Küste noch einmal von oben. Das verlockende Türkis des Meeres, die unendlich langen Strände und das saftige Grün, das dem langen Körper der Krokodil-Insel seine Farbe verleiht. Das Krokodil ist uralt, und viel hat es schon gesehen. Lange Zeiten eines paradiesgleichen Lebens in Frieden, die Zeiten der Entdeckung und Eroberung durch ein fremdes Volk, die Ausrottung der Ureinwohner und den Missbrauch an Hunderttausenden von Afrikanern, die, ihrer Heimat entrissen, den Boden der Insel mir ihrem Schweiß und ihrem Blut tränkten. Die Zeiten der riesigen Zuckerrohrplantagen, Zucker und Sklaverei, Diktaturen, Epochen eines relativen Aufschwungs, Epochen des Reichtums für wenige und immer wieder die Armut der anderen. Die grausame Diktatur Batista's, die Revolution, der enorme Druck von außen, und immer noch, immer wieder die große Armut der meisten. Viel hat es schon gesehen, das alte Krokodil. Hay más tiempo que vida. Es gibt unendlich viel Zeit. Die Zeit spielt keine Rolle, weder gestern, noch heute, noch morgen. Die Zeit ist immer und wird immer sein. Die Mythen der Urahnen, die archetypischen Erzählungen aus der Welt der Götter, wiederholen sich in ihrem eigenen Zeitrhythmus, werden in unendlichen Variationen immer wieder von den Menschen nachgespielt.

Das Orakel von Ifa, zu dem sich wie jedes Jahr auch dieses Mal am 31. Dezember 2000 in Havanna mehr als 500 Priester einfanden, sah für 2001, das Jahr der Göttin Ochún und ihres Begleiters Eleguá, unter anderem schwere tropische Stürme und die Zerstörung vieler Gebäude voraus. Auch das ist nichts Neues für die Krokodil-Insel: Hurrikane, Erdbeben, plötzliche Ereignisse, die alles zerstören und alles verändern können. Aber die Menschen lassen sich nie ganz entmutigen, auch nicht, wenn ihnen das Wasser tatsächlich bis zum Halse steht. Sie leben weiter, tanzen, lachen und besingen das Leben mit immer wieder neuen Liedern - im alten Rhythmus.

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Stand: 15. May 2002
 

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