Nirgendwo sind Sie dem Nabel Südamerikas näher |
Von Gesine Froese |
Ein Bus voller Touristen fährt enge Serpentinen von der Ruinenstätte Machu Picchu hinunter ins Tal des Río Urumbamba - Kurve um Kurve. Ein kleiner Junge -zehn Jahre alt vielleicht - ist jedes Mal schneller. Um die Haare ein Stirnband, am Leib ein lockeres knielanges Inka-Hemd und an den Füßen Sandalen wie ein Staffettenläufer, kürzt er die Serpentinen stets über einen steilen Pfad ab und erwartet den Bus in jeder Geraden. Kaum erblickt er ihn, stößt er einen gellenden Schrei auf Quechua aus: Auf Wiedersehen! Um unten dann mit geöffneter Hand herumzugehen... Rund drei Zugstunden weiter
südöstlich: In der alten Inka-Metropole Cuzco, wo die Kolonialkirchen Oder Juanita. Die tiefgefrorene Jungfrau ruht im gläsernen Schausarg eines Museums in der peruanischen Kolonialstadt Arequipa. Ihre Gesichtszüge sind noch gut zu erkennen. Sie wirken gefasst, fast stolz. Das junge Mädchen starb vor ein paar hundert Jahren auf der Spitze eines Vulkans - als menschliches Opfer für die Berggötter. Als Archäologen die Mumie 1995 nach dem Ausbruch eines benachbarten Vulkans im abschmelzendes Eis fanden, entdeckten sie außer einer tödlichen Wunde am Kopf, keine Spuren von Gewaltanwendung. Offensichtlich war das junge Mädchen den ganzen langen beschwerlichen Weg bis zu ihrem Opferplatz aus freien Stücken mitgegangen... Entdecken Sie Peru - tauchen
Sie in die lebendige Welt einer uns zutiefst fremden Kultur voller
Geheimnisse und Rätsel ein. Ob es sich da um liebenswerte kleine
Begebenheiten am Rand weltberühmter Sehenswürdigkeiten wie Machu
Picchu handelt,
Peru gehört zu den letzten
Länder Südamerikas mit überwiegend indianischer Bevölkerung. Die
Ureinwohner Amerikas nannte Kolumbus bekanntlich so in seinem Irrtum, er
hätte Indien gefunden. Heute heißen sie lieber "indígenas"
(Eingeborene), weil sie die Bezeichnung Indianer zu sehr an die
jahrhundertelange Zeit der Unterdrückung und Diskrimierung durch die
Spanier erinnert. Die Begegnung mit indígenas - und die Stätten ihrer
Vorfahren werden für viele Besucher das erklärte Ziel der Reise nach
Peru und Bolivien sein. Schließlich handelt es sich dabei nicht um
irgendwelche, sondern eben um die Nachfahren wie um die Zeugnisse der
einst mächtigsten präkolumbischen Kultur Südamerikas, der Inka. Dass
wir sie Inka nennen, ist übrigens nicht korrekt, denn eigentlich
gebührte der Name "Inka" nur dem Fürsten.
Angelockt von Mysterium der
Inka, entdecken viele Besucher dann oft erst unterwegs, dass die Inka
nur einen Bruchteil des kulturellen Potentials beider Länder ausmachen.
Und dass das riesige, einst von Nordkolumbien bis Südchile reichende
Reich nur die Krönung einer langen kulturellen Über vielen dieser Ausgrabungsorte liegt noch ein frischer Hauch archäologischen Entdeckerfiebers. Immer noch wird freigelegt und restauriert, erneut abgesteckt und gegraben - stets in der Hoffnung, wieder ein unversehrtes Grab zu finden. Denn wie der sensationelle Fund des "Herrn von Sipán" Ende der Achtziger Jahre zeigte, blieb doch noch so manches Fürstengrab mitsamt seiner goldschweren Beigaben von den Plünderungen der Grabräuber verschont. Welche unglaublichen Schätze entdeckt wurden, davon gibt das einzigartige Museo de Oro in Lima einen üppigen Eindruck.
Wenn Sie nach Peru reisen,
werden Sie über so über manches staunen oder sich wundern. Zum
Beispiel auch darüber, dass dieser einst kulturell so glänzend da
stehende Großraum in Südamerika alles andere als eine von der Natur
reich beschenkte Region war und ist. Im Gegenteil: Die Küste gleicht
einer Wüste, der die Menschen vor zweitausend Jahren nur mittels
künstlicher Bewässerungsysteme Grün entlocken konnten. Und das
Andengebirge, das beide Länder mit
Im Gegensatz zur Inkazeit sind
die ländlichen Gebiete heute Stiefkinder der Regierungen. Das ist
überall spürbar. War die Ausbeutung des Boden und die Versorgung der
Bevölkerung unter den Inka streng geregelt und gesichert, und das Land
von einem für die damalige Zeit geradezu fortschrittlichen Straßennetz
durchzogen, mangelt es heute in vielen ländlichen Regionen an
Transportwegen. Isoliert von der Außenwelt, überlebt die
Landbevölkerung mehr schlecht denn recht nach dem Muster alter Tage:
Das Land wird in comunidades beackert, wie die traditionellen
kollektiven Dorfgemeinschaften in beiden Ländern heißen. Sie
entsprechen etwa den ayllus aus der Inka-Zeit, Parzellen, die ebenfalls
gemeinschaftlich bestellt wurden. Im Hochland auf 3500 bis 4500m, wo
sich die Grenzen beider Länder treffen, sind diese comunidades noch wie
vor Jahrhunderten mit Mauern aus aufgeschichteten Steinen begrenzt. Dort
kann man mitunter noch den Dorf-Obersten dabei beobachten, wie er mit
seinem silberbeschlagenen Stab diese Mauern abschreitet und die
Dorfjungs lehrt, das Land zu bebauen, Fremden zu misstrauen und die
alten Geister zu fürchten - etwa die Aukis, die in den Bergen leben,
und Ccoa, der Hagelschauer schickt, um die Ernte zu vernichten... Alter Götterglaube, eine traditionelle Hierarchie in der Gemeinschaft helfen der Landbevölkerung beim Überleben in der Isolation. Kultur als Halt - auch die Sprache erfüllt diese Funktion. Viele Menschen auf dem Land von Peru sprechen statt Spanisch lieber Quechua - die von den Inka in ihrem Vielvölkerstaat eingeführte Universalsprache. Bis heute blieb sie ein stärkeres Band zwischen den Menschen als die jeweilige Staatsangehörigkeit. Fast scheint die Zeit auf dem Land seit den Inka stehen geblieben - was Sitten und Gebräuche angeht. Nur dass es der Landbevölkerung zur Inka besser ging - eben weil sie damals in das Gemeinwesen sozial wie verkehrstechnisch eingegliedert war. Seit der Kolonialzeit dagegen vegetiert sie im Schattenbereich einer auf Export ausgerichteten Landwirtschaft und im Abseits von Städten, die von den Politikern vorrangig als Schaufenster zur Welt und Bühnen der Oberschicht ausstaffiert wurden. Straßenbauexperten führen für die mangelhafte verkehrstechnische Erschließung Perus heute gerne die extreme Topographie beider Länder als Ursache ins Feld. Tatsächlich sind gewaltige naturgegebene Hindernisse zu überwinden, wollte man beide Länder mit einem nahtlos modernen Straßennetz ausstaffieren. Hinter der wüstengleichen Pazifikküste steigt das Land steil auf zu einem gewaltigen Andengebirge. Es ist gespickt von schneebedeckten Bergen, die das Dreifache der deutschen Zugspitze auf die Meßlatte bringen, und durchzogen von Canyons, die wie der Colca Canyon tiefer und größer als der Grand Canyon in den USA sind. Straßenbau in dieser Topografie ist zweifellos ein abenteuerliches und teures Unterfangen. An der Küste fehlt es an Steinen zur Befestigung, so dass sie von den reißenden Wassern in der Regenzeit - insbesondere während des El Niño-Klimaphänomens schnell fortgerissen werden. Neben Wüsten müssen tiefe Schluchten überbrückt, und Pisten in die riesigen Urwaldregionen im Osten geschlagen werden. Dennoch wirft der mangelnde
Ausbau des Straßennetzes auch ein krasses Licht auf die kurzsichtigen
Wirtschaftspolitiken beider Länder. Zu sehr waren die Regierungen seit
der Unabhängigkeit mit inneren und äußeren Konflikten beschäftigt,
mit Putschen, Kriegen und Verfassungsänderungen, die allein den
selbstsüchtigen Zielen einer kleinen reichen Oberschicht dienten. So
tatenlos, wie es den Anschein hat, sahen dabei die lange missachteten
und als Arbeitskräfte seit der Kolonialzeit ausgebeuteten indígenas
freilich ihrem Treiben nicht zu. In Bolivien Wenn Sie Peru entdecken, machen Sie sich deshalb auch auf Eindrücke gefasst, die kaum noch etwas gemein hat mit der liebenswerte Idylle einfachen Lebens. Menschen hausen im eisigen Hochland in einfachsten Hütten, Kinder leiden unter Unterernährung und betteln in zerlumpten Kleidern und mit von Kälte und Hochlandsonne rotgebrannten Wangen Touristen um Almosen an. Nicht selten werden sie sogar von den Eltern auf die Straße geschickt, damit sie häusliche Kasse aufbessern. Fremden zu misstrauen - wie es Dorfälteste im Hochland ihre Jungs noch lehren - gehört heute sicherlich nicht mehr zu den alten Tugenden, in denen sich die Jugend Perus besonders hervortut. Zuviele wissen es - mitsamt ihrer Familien - längst zu schätzen, dass die Besucher aus aller Welt Geld in die Kasse bringen. Viele aber sehen heute im Fremden auch einen Verbündeten, der Ihr Selbstbewußtsein stärkt und sie so beim Demokratisie-rungsprozess im eigenen Land moralisch unterstützt. Nach der Verfassungen besitzen die indígenas zwar längst die gleichen Rechte wie alle Landsleute - aber im Alltag haben sie neben den zahlreichen ökonomischen Problemen auch immer noch vielen gesellschaftlichen Vorurteilen aus der Kolonialzeit zu kämpfen, die den meisten Touristen fremd sind. So hilft er ihnen, selbstbewusster denn je ihre eigene Kultur wieder zu entdecken und die alte Angst vor Ächtung abzulegen. Selbstbewusster denn je, graben sie die alten Geschichten aus den Archiven. Kopieren die Motive jahrtausendealter feinster Webstoffe für die Decken, Schals und Pullover, die sie auf den Märkten verkaufen. Schmieden aus edlen Metallen kostbare Geschmeide nach präkolumbischen Vorlagen. Und beschwören mit ihren Flöten in den Restaurants und Folklorelokalen die Melancholie ihrer Andenländer und ihre Helden wie in der weltberühmten Ballade "El Condor Pasa", die vom Aufstand des Túpac Amarú II erzählt - während es am Nachbartisch von herben Kräutern wie dem Cilantro und nach frisch gegrilltem Meerschweinchen duftet. Sicherlich wird auch der eine oder andere Reiseleiter während Ihrer Ausflüge indianischer Herkunft sein und versuchen, Sie in die überlieferten alten Mythen und Zauber einzuweihen. Wie Fabricio aus dem Weinort Ica im Süden Perus, der die Entstehung der Wüstenoase Huacachina so erzählt: Es weinte einmal eine Frau ein Meer aus Tränen um ihren verstorbenen Geliebten...
Reisen in Peru kann also
durchaus ein Wechselbad der Gefühle sein, ein Abenteuer zwischen Lust
und Frust, .Faszination und Kulturschock. Ein Sicherheitsrisiko ist es
jedoch nicht mehr, wenn man sich umsichtig verhält. Vor allem Peru
hatte in dieser Hinsicht ein ziemlich schlechtes Image. Doch hier hat
sich unter Alberto Fujimori`s inkaischer Unnachgiebigkeit und Strenge
viel verändert. Nicht nur, dass seit dem Zerschlagen der
Guerrilla-Bewegungen von dieser Seite unterwegs keine Überfälle mehr
befürchtet werden müssen, auch führte er derart drastische Strafen
für Diebstahlsdelikte ein, dass in Peru jetzt schon fast die
Atmosphäre eines Ordnungsstaats herrscht. So zweifelhaft seine Methoden
in den Augen der Menschenrechtler sind - seine archaischen Methoden
haben Reisen in Peru zweifellos erheblich sicherer gemacht. Also keine Angst, entdecken Sie Peru! Aber mit ausreichend Zeit. Perú ist fast vier mal so groß wie Deutschland. Zwischen den einzelnen Städten und Sehenswürdigkeiten sind riesige Entfernungen zurückzulegen. Wer nicht nächte- und tagelang mit dem Bus unterwegs sein will, überwindet sie oft besser mit dem Flugzeug. Bei klarer Sicht bietet es außerdem phantastische landschaftliche Einblicke in die Gipfellandschaft der Anden wie sie sich kaum Trekkingurlauber mit bester Kondition erklettern können. In Peru muss man sich vor allem auf gewaltige Höhenunterschiede und klimatische Extreme einstellen. Spätestens auf dem beiden Ländern gemeinsamen Altiplano, wo sich der Tititacasee ausbreitet, wird der Körper Sie spürbar dazu auffordern, das Reisetempo zu drosseln und die Hektik Europas hinter sich lassen. In dieser Höhe von rund 4000 m ist die Luft so sauerstoffarm, dass Ihnen noch nach ein paar schnellen Schritten schwindelig werden kann. Machen Sie`s dann einfach wie die Einheimischen und kauen Coca-Blätter oder nehmen vorsorglich die überall käuflichen Drops gegen Höhenkrankheit. Nur wenige Kilometer östlich des Altiplano wartet dann das andere Extrem: die dampfend heiße und schwüle Welt des Amazonasdschungels. So liegt der weltberühmte Nationalpark Manu in Peru zwar nur einen kurzen Luftsprung von Cuzco entfernt - aber eben rund 3000 m tiefer. Wenn Sie die einzigartige Artenvielfalt dieses Unesco-Weltkulturguts ohne Konditionsprobleme erleben wollen, wärmen Sie sich besser erstmal einen Tag in der Lodge auf. Es schadet nichts, solche kleinen Pausen bei der Reiseplanung gleich einzukalkulieren. Und noch ein guter Rat: Wenn Sie das Badeleben an den Stränden von Lima genießen wollen, reisen Sie in den ersten Monaten des Jahres. Denn wenn bei uns Sommer ist, herrscht dort Winter, und die Stadt erinnert an London in November. Dann liegen die kolonialen Prachtbauten der historischen Altstadt in so dichtem Nebel, dass die Umrisse der großen Plaza de Armas nur grob zu erkennen sind, die einst Pizarro höchstpersönlich mit seinem Degen absteckte. Schade, wenn Sie dann die prächtigen Gebäude an seinen Seiten nicht in voller Pracht sehen können, die einst Zentrale eines Vizekönigreichs waren, zu dem wie in der Inkazeit auch Alto Peru, das heutige Bolivien, gehörte. Sie symbolisieren auch die alte Einheit, die Peru und Bolivien bildeten. Denn ein eigener Staat ist das ehemalige "Alto Peru" erst seit der Unabhängigkeit. |
erschienen im Marco Polo Reiseführer " Peru Bolivien" ( bei CariLat mit Fotos des Autoren ©)
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Stand: 09. May 2002